Traumhaftes Ende einer nahezu perfekten Saison für Raffaele Marciello: Mit dem Titel im ADAC GT Masters im Mercedes-AMG GT3 des Mann-Filter Team Landgraf setzt der Schweizer ein Ausrufezeichen hinter ein Jahr, das seinesgleichen sucht. Nach dem Sieg bei den 24h von Spa-Francorchamps und dem Titel in der GT World Challenge Europe gewinnt der in Zürich geborene Mercedes-AMG-Werksfahrer den Titel in der Deutschen GT-Meisterschaft und damit nach seinen Langstreckenerfolgen auch eine der wichtigsten Sprintserien in Europa.
Marciello, den alle im Fahrerlager nur „Lello“ nennen, ist ein Charakterkopf, der kein Blatt vor den Mund nimmt und unverblümt seine Meinung sagt. Das zeigte sich auch im Nationenwechsel vor Saisonbeginn: Fuhr er bisher für Italien, startet er nun mit Schweizer Lizenz. „Meine Familie stammt aus Italien und ich fühle mich eigentlich als Italiener. Die italienische Motorsport Föderation hat mir viel Unterstützung zugesagt, doch nichts ist passiert. Ich brauche keinen Support, aber wenn man etwas verspricht, muss man das auch halten. Da ich in der Schweiz wohne, war es dann nur logisch, unter Schweizer Flagge anzutreten.“
Erfolg begleitete den 27-Jährigen vom Beginn seiner Karriere. Bereits mit dreieinhalb Jahren saß „Lello“ in einem Kart, war davon aber zunächst nicht begeistert. „Mein Vater war kein Rennfahrer, aber ein Motorsport-Fan und wollte unbedingt, dass ich diese Richtung einschlage. Ich hatte zu Beginn aber wenig Ambitionen.“ Im Laufe der Zeit wurde er immer schneller und gewann ab 2003 zweimal die Schweizer Kart-Meisterschaft sowie den Champions Cup. „Wenn du anfängst zu gewinnen und merkst, dass du gut und schnell bist, verändert sich deine Einstellung. Für mich war ab da klar, dass ich Rennfahrer werden wollte“, so der Schweizer.
Nach einem erfolgreichen Kartrennen im Jahr 2009 wurde Marciello Mitglied der Ferrari Driver Academy. Er wechselte in den Formelsport, gewann 2013 mit 13 Siegen die FIA Formel-3-Europameisterschaft. Es folgten Formel-1-Testfahrten für Sauber, doch 2015 wurde die Mitgliedschaft in der Ferrari Driver Academy nicht mehr verlängert, damit ging auch das Engagement in der Formel 1 zu Ende. Zum ersten Mal gab es in der Karriere Stillstand. „Es war eine schwierige Zeit, ich wusste nicht, wie es weitergehen sollte. Ferrari hat den Vertrag nicht verlängert und ich hatte nicht das nötige Budget für die Formel 1. Es gab auch keinen Plan B, denn ich habe niemals darüber nachgedacht, etwas anderes zu machen, als Rennen zu fahren. Zum Glück hatte ich Kontakt mit Mercedes-AMG und man bot mir die tolle Gelegenheit, im GT-Sport zu fahren. Ich bin Werkspilot geworden und habe mit Mercedes-AMG viele Erfolge eingefahren.“
Geschadet hat dieser Wechsel nicht, wie der Gewinn der Deutschen GT-Meisterschaft gezeigt hat. Nach Platz sechs und Rang vier in den vergangenen beiden Jahren wollte es Raffaele Marciello in dieser Saison wissen. „Man braucht im ADAC GT Masters schon viel Erfahrung, weil es ein spezielles Format ist. Man teilt sich das Auto mit einem Kollegen und sitzt im Rennen nur rund 30 Minuten hinter dem Steuer. Da muss man Fehler vermeiden, denn sie sind nur schwer zu korrigieren, zumal das Niveau ausgesprochen hoch ist. Das Qualifying hat eine besondere Bedeutung, man kann dort sehr viel an Boden verlieren. Wir haben von Anfang an unseren Fokus daraufgelegt, immer anzukommen. Ob Platz zwei, drei oder fünf war insofern egal, weil wir kontinuierlich punkten wollten. Unser Auto war nicht das schnellste, aber wir haben immer versucht, das Maximum herauszuholen. Wir hatten auch Glück, wurden nie in einen Crash verwickelt und es gab keine Reifenschäden. Aber Glück gehört im Motorsport einfach dazu.“
Der Glaube an die eigene Stärke war ein wichtiger Faktor auf dem Weg zum Titelgewinn der schnellsten GT3-Serie Deutschlands. Nach der durchwachsenen ersten Saisonhälfte konnte sich Raffaele Marciello mit seinen Teamkollegen in der zweiten Halbzeit vom Feld absetzen. Selbst von hinteren Startplätzen aus fuhr man noch auf das Podest und nutzte turbulente Rennphasen eiskalt aus, um Positionen gutzumachen. „Ich kann mich sehr gut an verschiedenste Bedingungen anpassen, bestimmte Rennsituationen ausnutzen und taktisch so fahren, dass das Risiko überschaubar ist. Beim Überholen bin ich allerdings sehr aggressiv, manchmal ein bisschen zu sehr, was zu Fehlern führen kann. Aber das macht eben auch den Rennsport aus“, erklärt er.
Was der frisch gebackene Champion in der nächsten Saison machen wird, weiß er noch nicht. Er geht aber davon aus, dass sie so aussieht wie in diesem Jahr. Inklusive eines weiteren Starts im ADAC GT Masters, um den Titel zu verteidigen. Die Formel 1 ist dagegen für den stillen Schweizer kein Thema mehr. „Man darf Träume haben, sie müssen aber realistisch sein und die Formel 1 ist es nicht. Ich werde auch in Zukunft das tun, was ich in meiner Karriere schon immer getan habe: Ich will so viele Rennen wie möglich gewinnen.“
Teamchef Klaus Landgraf charakterisiert Raffaele Marciello so: „Raffaele ist ein sehr angenehmer Mensch, ehrgeizig, fokussiert und emotional. Doch dabei bleibt er immer ruhig und rastet nie aus.“ Trotz des Erfolges gibt sich Klaus Landgraf auch selbstkritisch. „Wir haben in der ersten Saisonhälfte immer wieder strategische Änderungen vorgenommen und uns damit das Leben selbst ein wenig schwer gemacht. In der zweiten Hälfte war Konstanz angesagt und das hat sich ausgezahlt.“ Sicher ist sich der Teamchef, dass der Titel und die damit verbundene Meisterschaftsfeier die eigene Hospitality im Fahrerlager nicht ganz schadlos überstehen wird. Klaus Landgraf: „Das Team kämpft seit zwei Jahren für dieses Projekt und wurde jetzt mit dem Titel belohnt. Da kann man auch mal die Hospi opfern.“
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