Die aktuelle Pandemie-Situation in Deutschland trifft auch die Teams und Fahrer der Nürburgring Langstrecken-Serie und des 24-Stunden-Rennens sowie die Menschen und Betriebe entlang der Traditionsrennstrecke hart. Hierauf weist Martin Rosorius als Vorsitzender der Interessengemeinschaft Langstrecke Nürburgring e.V. hin und zeigt auf, wie die ILN und ihre Mitglieder gemeinsam mit anderen Betroffenen nach Lösungen und Hilfestellungen suchen, damit alle Beteiligten die Krise so gut wie möglich überstehen.
Martin, der Corona-Shutdown betrifft auch die Nürburgring-Szene und die dort beheimateten Rennserien inklusive der Fahrer und Teams. Wie schätzt die ILN die Lage ein?
Martin Rosorius: Die Situation ist sehr ernst. Natürlich hat im Kampf gegen das Corona-Virus die Eindämmung der Krankheit oberste Priorität und sportliche Fragen sind derzeit zu Recht zweitrangig. Nichtsdestotrotz mache ich mir Gedanken zu den wirtschaftlichen Auswirkungen auf die Motorsportbranche, zu der in Deutschland – gerade rund um den Nürburgring – Tausende von Arbeitsplätzen zählen. Hinzu kommen die Hotellerie, die Gastronomie und unzählige Dienstleister. Sollte die Aussetzung des Rennbetriebs noch mehrere Monate andauern, drohen reihenweise Insolvenzen.
Bund und Länder haben umfangreiche finanzielle Unterstützungsprogramme gestartet…
Rosorius: Die ILN begrüßt zwar das Hilfspaket der Regierungskoalition, das Unternehmen unterstützen soll, sowie die Neuregelungen für das Kurzarbeitergeld, von dem bereits viele Teams Gebrauch machen. Dennoch wird dies vielfach nicht reichen.
Das heißt?
Rosorius: Ich gehe davon aus, dass gerade auch größere Teams aufgrund ihrer entsprechenden Kostenstruktur von einer Insolvenz bedroht sind und ihren Zahlungsverpflichtungen nur noch begrenzte Zeit nachkommen können. Die finanzielle Schmerzgrenze ist nach der langen Winterpause bereits heute erreicht. Und natürlich wirkt sich die Krise auch erheblich auf den Bereich Sponsoring aus.
Was wünscht sich die ILN für ihre Mitglieder in einem ersten Schritt?
Rosorius: Die offene Frage, wie lange der Corona-Shutdown noch anhält, und die damit fehlende Planungssicherheit verschlimmern die Situation zusätzlich. Mitarbeiter in Rennteams sind es gewohnt, hart zu arbeiten und viel unterwegs zu sein. Untätig zuhause herumzusitzen ist den Teams absolut fremd. Es wäre daher wünschenswert, möglichst zeitnah zumindest eine Perspektive zu erhalten, wie sie hoffentlich bald wieder – gegebenenfalls auch mit bestimmten Restriktionen – agieren dürfen.
Geht das nicht allen Sportlern so?
Rosorius: Derzeit berichten die Medien viel darüber, wie Profisportler mit der jetzigen Situation umgehen. Ich denke aber auch an die Mechaniker und Ingenieure oder die Mitarbeiter des Nürburgrings und ihre Familien sowie alle Menschen, die in der Eifel von der Traditionsrennstrecke leben. Aus diesem Grund ist es richtig und wichtig, dass wir uns schon jetzt intensiv mit der Frage beschäftigen, wie wir den Motorsportbetrieb am Nürburgring wieder aufnehmen können.
Wie sieht das aus?
Rosorius: Es gibt bereits sehr konstruktive Gespräche zwischen der VLN, dem Nürburgring, dem Deutschen Motor Sport Bund und der ILN. Auf allen Seiten ist das Bemühen erkennbar, ab Ende Juni noch eine maximale Anzahl an Veranstaltungen – möglichst acht bis neun Läufe zur Nürburgring Langstrecken-Serie (NLS) – durchzuführen. Dies wird möglicherweise auch dazu führen, dass wir erstmals an einem Wochenende zwei Langstreckenrennen sehen werden. Dabei sind natürlich vielschichtige Aspekte zu berücksichtigen, wir sind dabei zum Beispiel auch auf die Unterstützung der zahlreichen ehrenamtlichen Helfer und Sportwarte angewiesen. Ich bin aber zuversichtlich, dass die Motorsportgemeinde gerade in dieser schwierigen Saison fest zusammensteht.
Es gibt Teams, gerade auch kleinere, die von der Idee, an einem Wochenende zwei Rennen auszutragen, wenig begeistert sind…
Rosorius: Das verstehe ich und deren Argumente nehme ich auch sehr ernst. Um speziell den kleineren Rennställen entgegenzukommen, die ein am Samstag verunfalltes Fahrzeug nicht bis Sonntag wieder reparieren können, würde ich mir beispielsweise ein zusätzliches Streichresultat wünschen. Dies könnte Teams auch bei Terminüberschneidungen helfen. Generell halte ich es für wichtig, dass wir in dieser Krisensituation auch unkonventionelle Wege gehen oder zumindest ergebnisoffen diskutieren. Nur so wird es uns gelingen, gemeinsam die enormen Herausforderungen zu meistern.
Der Rennkalender sieht voraussichtlich auch Rennen im November vor. Ist das in der Eifel witterungsbedingt nicht ein gewagtes Unterfangen?
Rosorius: Ich gehe davon aus, dass die VLN nach dem derzeitigen Shutdown gegen Ende April einen neuen Rennkalender veröffentlichen wird. Selbstverständlich wird dieser kontinuierlich an die aktuellen Gegebenheiten angepasst werden müssen. Dabei darf sich eine Situation wie im vergangenen Jahr beim zweiten Saisonlauf – als nach einer Rennrunde wegen Schneefalls abgebrochen wurde, ohne den Teams das Startgeld zurückzuerstatten – nicht wiederholen. Da müssen wir eine kulante finanzielle Regelung finden.
Mit anderen Worten: Der Nürburgring-Renngemeinde stehen viele unkonventionelle Änderungen bevor. Wir reagieren die ILN-Teams und -Mitglieder auf die angespannte Situation?
Rosorius: Unsere Mitglieder tauschen sich nicht erst seit der Corona-Krise auch über wirtschaftliche und steuerrechtliche Themen aus, das wissen viele gar nicht. Dieser Zusammenhalt hat sich in der momentanen Situation noch weiter intensiviert. Wir alle sind vollkommen unverschuldet in der gleichen problematischen Situation. Insofern ist es nur folgerichtig, dass wir unser Wissen untereinander teilen und uns gegenseitig motivieren. Dabei geht es insbesondere um Tipps bei der Beantragung von staatlichen Hilfen und den Erfahrungsaustausch, wie andere Teams mit der Lage umgehen.
Statt Rad-an-Rad also Rat-für-Rat?
Rosorius: So in etwa. Während wir auf der Strecke immer Konkurrenten sein werden, helfen wir uns nun gegenseitig. Hier sehe ich noch eine Aufgabe für die ILN, dieses Wissen grundsätzlich allen Mitgliedern immer kurzfristig mittels einer Wissensdatenbank verfügbar zu machen. Alle Mitglieder der ILN eint der Wille, gemeinsam möglichst gut durch die Krise zu kommen und anschließend wieder packenden Motorsport auf der Nordschleife zu zeigen. Die NLS und auch das 24-Stunden-Rennen brauchen eine Vielzahl an Teilnehmern – sonst geht nicht nur der sportliche Reiz verloren, sondern auch die Nenngelder für alle Fahrzeugklassen in die Höhe, was zusätzlich kontraproduktiv wäre.
Können wir aus der Krise auch etwas Positives mitnehmen?
Rosorius: Die Digitalisierung schreitet in großen Schritten voran, auch im Motorsport ist dies klar erkennbar. Innerhalb der ILN werden wir zukünftig verstärkt Online-Meetings und Webinare durchführen. Ich kann mir zukünftig bei der NLS auch Online-Fahrerbesprechungen gut vorstellen, in zahlreichen anderen Bereichen gibt es sicherlich ebenfalls noch weiteres Potenzial für Optimierungen.
Zumindest eine offizielle Motorsport-Disziplin profitiert derzeit erkennbar von der aktuellen Situation: Sim-Racing…
Rosorius: Anfang 2020 hätte ich nicht gedacht, dass ich persönlich im DMSB-Automobilsport-Handbuch das Rundstreckenreglement für SimRacing detailliert durcharbeiten würde. Wir müssen aber feststellen, dass auch in diesem Bereich faszinierender Sport gezeigt wird. Die Präsentation beispielsweise der Rennen zur „Digitalen Nürburgring Langstrecken-Serie powered by VCO“ ist äußert professionell und hebt die gesamte Disziplin nochmals auf ein ganz neues Level. Zu Recht gehen dort viele Teams und Fahrer an den Start, die auch im realen und virtuellen Rennsport Rang und Namen haben. Besonders freue ich mich, dass auch mehrere ILN-Mitglieder dort mit Kombinationen aus realen Rennfahrern und Sim-Racing-Profis aktiv sind. Diese Mischung macht für mich den Reiz beim SimRacing aus. Aber ich glaube, ich spreche allen Motorsportfans aus dem Herzen, wenn ich mir auch den realen Motorsport auf der Nordschleife möglichst bald zurückwünsche. Ich denke in diesen Tagen oft an das Zitat von Steve McQueen, der sagte: „Racing is life. Anything that happened before or after, it’s just waiting.“ Dem ist nichts hinzuzufügen – hoffentlich hat das Warten bald ein Ende.
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