Motorsportlicher Wettbewerb auf höchstem Niveau als Triebfeder für technische Entwicklungen – unter dieser Maxime stellt sich Porsche seit vielen Jahrzehnten den großen Herausforderungen in weltweiten Rennserien. „Die extremen Beanspruchungen bei Rennen lassen die schwachen Stellen erkennen und regen damit Techniker an, neue, bessere Wege zu suchen“, sagte Ferdinand „Ferry“ Porsche, der mit der Entwicklung des legendären 356 No. 1 Roadster im Jahr 1948 den Grundstein für die Marke Porsche legte. Dieser Leitsatz gilt für die Ingenieure in Weissach bis heute. Unter dem enormen Druck im Motorsport entstehen Lösungen, die später in die Entwicklung der Straßenfahrzeuge einfließen.
An kaum einem anderen Bauteil werden die stetigen Weiterentwicklungen im Motorsport so deutlich wie beim Lenkrad. In den ersten Rennfahrzeugen aus Stuttgart in der Mitte des vergangenen Jahrhunderts waren Standardlenkräder aus Straßenmodellen verbaut. Sogar bei der Le-Mans-Legende Porsche 917 gab es in diesem Bereich kein einziges Bedienelement, keinerlei Anzeigen. „Entwicklungen in diese Richtung – man mag das kaum glauben – fingen erst im Jahr 2000 so richtig an. Seither gab es bei den Lenkrädern extrem große Entwicklungsschritte, die für jeden deutlich sichtbar sind“, erklärt Pascal Zurlinden, Gesamtprojektleiter Werksmotorsport. Innerhalb von nur 20 Jahren wurde aus einem lederummantelten Rad ein multifunktionaler Controller. Im aktuellen Porsche 911 RSR haben die Piloten über 30 Bedienelemente am Lenkrad, die – in Kombination aktiviert – weitere Funktionen umsetzen können. Zwei Fachleute in Weissach erarbeiten immer neue Lösungen für noch mehr Einstell-Möglichkeiten bei gleichzeitig verbessertem Komfort.
Modernes Lenken: Wie die TV-Fernbedienung im Wohnzimmer
„1999 bin ich als Porsche-Junior im Carrera-Cup gefahren. Damals war es ein Lenkrad ohne einen einzigen Knopf: kein Funk, keine Schaltwippen, kein Pitspeed-Limiter. Wir mussten bei der Fahrt durch die Boxengasse immer auf den Tacho schauen“, schildert Markenbotschafter Timo Bernhard (Bruchmühlbach-Miesau) die frühen Anfangsjahre. Der langjährige Werksfahrer und Sportwagen-Weltmeister von 2016 erlebte die rasanten Fortschritte hautnah mit. Der Cup-Porsche bekam zur Saison 2001 einen Funkknopf ans Lenkrad, im Porsche 911 GT3 RSR in der American Le Mans Series wuchs die Zahl der Bedienelemente bis 2004 auf sechs. Die Schalter und Knöpfe wurden damals in einem modifizierten, frei käuflichen Motorsportlenkrad verbaut. Das Layout spielte dabei eine untergeordnete Rolle.
Genau dieser Faktor ist jedoch mit der Zeit und den Fortschritten in diesem Bereich immer mehr in den Fokus gerückt. Die Anordnung aller Funktionen steht im Zentrum der Entwicklung, um dem Piloten eine möglichst intuitive Bedienung zu ermöglichen. „Es ist wie mit dem Fernseher zu Hause“, sagt Pascal Zurlinden. „Die Fernbedienungen haben immer mehr Knöpfe – für Apps, Amazon Prime und Co. Dennoch geht die Bedienung ganz schnell in Fleisch und Blut über. Nehme ich ein anderes Modell der gleichen Marke, finde ich mich auch sofort zurecht. So machen wir es bei Porsche auch. Weil das Layout immer dem gleichen Muster folgt, haben die Fahrer beim Wechsel von einem Fahrzeugmodell auf ein anderes keinerlei Probleme.“
Ergonomie: Wenn ein Kopfdruck über den Rennsieg entscheidet
Bei der Anordnung der Bedienelemente spielen die Fahrer eine entscheidende Rolle. Sie geben während der Entwicklung wertvollen Input, um eine bestmögliche Ergonomie zu gewährleisten. Im ersten Schritt werden die vier wichtigsten Elemente platziert: die Knöpfe für Pitspeed-Limiter, Full-Course-Yellow-Situationen, Start/Stopp des Motors und den Funk. Anschließend werden die weiteren Bedienmöglichkeiten anhand einer Prioritätenliste verteilt. Dabei haben die Entwickler immer im Hinterkopf, dass einige Funktionen über Tastenkombinationen aktiviert werden müssen – vergleichbar dem Klammergriff Ctrl+Alt+Del am heimischen PC.
„Wie wichtig die richtige Anordnung und die optimale Bedienbarkeit ist, habe ich in einem Wettbewerb mal schmerzhaft am eigenen Leib erfahren müssen“, blickt Werksfahrer Romain Dumas auf einen besonderen Moment im Jahr 2012 zurück. „Ich war damals mit dem Porsche 911 GT3 R am Pikes Peak und lag auf Siegkurs, als es in den höheren Lagen zuerst Regen und dann sogar Schnee gab. Dort habe ich alles verloren. Warum? Am Lenkrad war ein Bedienknopf für den Scheibenwischer verbaut. Man musste eine Sekunde lang draufdrücken, damit er ein Wischintervall macht, drei Sekunden lang, um ihn in den Dauerbetrieb zu bekommen. Das war viel zu kompliziert. Denn am Pikes Peak folgt eine Kurve auf die nächste. Bis ich den Wischer in Betrieb hatte, war viel zu viel Zeit verloren“, schildert der Franzose, der den berühmten Gipfel im US-Bundesstaat Colorado bereits viermal als Gesamtsieger erreichte. Erlebnisse wie dieses haben in der Entwicklung zu einem entscheidenden Umdenken geführt.
Datenübertragung zwischen Lenkrad und Bordelektronik: Ein Kabel reicht
Heutzutage werden die Fahrer von Beginn an in die Festlegung des Layouts einbezogen – und in die Formulierung entsprechender Bedienungsanleitungen. Das Lenkrad-Handbuch des Porsche 911 RSR umfasst 27 Seiten. „Das ist alles recht schnell im Kopf, sodass man sich komplett auf das Fahren konzentrieren kann“, sagt Porsche-Werksfahrer Matt Campbell (Australien). „Das geht so schnell, weil wir an der Entwicklung mitwirken dürfen. Als Werksfahrer von Porsche ist man zumeist auf der Langstrecke unterwegs. Da muss die Bedienung nicht nur intuitiv vonstatten gehen, sie muss auch körperlich so wenig anstrengend wie möglich sein. Das ist bei der Festlegung eines neuen Lenkrad-Layouts immer das Ziel.“ Auch bei den Kundensportrennern wie beispielsweise dem Porsche 911 GT3 R wird ein hoher Aufwand betrieben. Das Lenkrad muss für Werkspiloten wie Amateurfahrer gleichermaßen gut bedienbar sein. Hier gilt es, während der Entwicklung entsprechende Kompromisse zu finden.
Nicht nur in den Bereichen Bedienung und Funktionalität haben sich die Lenkräder in den vergangenen Jahrzehnten schnell verändert. Auch Form und Materialien wurden mehrfach angepasst. Vom kreisrunden Lenkrad mit Echtholz- oder später Stahlkranz wurde ein Controller, der in seiner Form einer auf der Seite liegenden Acht ähnelt – vergleichbar mit dem Steuerhorn moderner Flugzeuge. „Man mag es beim Blick auf ein altes und ein neues Lenkrad kaum glauben: die neuen sind dank der Verwendung von Aluminium und Karbon sogar leichter als die früheren. Trotz aller Bedienelemente, der Anzeigen und der gesamten Elektronik“, sagt Pascal Zurlinden. Die Steuerelemente in modernen Rennsportcockpits sind unkompliziert abnehmbar, um ein schnelles und sicheres Ein- und Aussteigen des Fahrers zu ermöglichen. Die Verbindung zwischen Lenkrad und Fahrzeugelektronik erfolgt über eine sogenannte CAN-Schnittstelle. „Über eine einzige Leitung erfolgt der Datenaustausch in beide Richtungen. Das ist wirklich faszinierend“, so Zurlinden.