Für ROWE RACING Teamchef Hans-Peter Naundorf ist der Erfolg bei den 24 Stunden von Spa das Ergebnis einer detaillierten Vorbereitung und eines perfekten Zusammenspiels der Mannschaft aus St. Ingbert mit Nick Tandy, Earl Bamber und Laurens Vanthoor. Die drei Porsche-Werksfahrer aus Großbritannien, Neuseeland und Belgien waren die Wunschbesetzung von „HP“ Naundorf und erfüllten im Porsche 911 GT3 R mit der #98 absolut fehlerfrei jeweils ihre vorgesehene Aufgabe. „Wenn alles wie eine schöne Choreographie funktioniert, wenn alle Zahnrädchen ineinander greifen, ist das ein tolles Erlebnis“, sagt der Teamchef im folgenden Interview und gibt auch schon einen Einblick in seine Ideen für 2021.

Wenn man in einem Rennen als Führender in die letzte Runde geht, ist man sicher immer nervös. Aber wie groß war das Zittern bei der letzten Runde in Spa, als über die Onboard-Kamera aus dem Auto diese beunruhigenden Geräusche zu hören waren?

Hans-Peter Naundorf, Teamchef ROWE RACING: „Natürlich macht man sich Sorgen. Aber es ist ja nicht das erste Mal in deinem Motorsportleben, das so etwas passiert. Anhand der Geräusche konnte man auch nur spekulieren, was los ist. Es hätte das Getriebe, der Motor oder ein gebrochener Auspuff sein können. Weil sich die Geräusche aber immer mit der Geschwindigkeit änderten, habe ich vermutet, dass es ein Problem an der Antriebswelle oder am Differenzial ist. Positiv gestimmt hat mich aber immer der Blick auf die Sektorzeiten, dass der Audi nicht aufgeholt hat, obwohl wir nicht mehr die volle Geschwindigkeit hatten. Da habe ich dann gedacht, das wird schon klappen.“

Mal abgesehen von diesen Problemen in der letzten Runde: Ab wann war der Glaube da, dieses Rennen gewinnen zu können?

Naundorf: „Auch wenn das jetzt vielleicht überheblich klingt: Ich war schon vor dem Rennen überzeugt, dass wir um den Sieg mitreden können, und auch während des Rennens immer positiv. Ich habe gewusst, dass wir eine wahnsinnig gute Fahrerpaarung haben. Als wir dann in der Nacht zum ersten Mal in Führung gegangen sind, hat das den Fahrern und dem Team zusätzliche Sicherheit und Bestätigung gegeben. Es wurde im Rennen früh klar, dass es auf die letzte Stunde hinauslaufen würde und dann die Taktik entscheiden wird. Der Regen in der Schlussphase hat uns dabei auch geholfen. Als wir nach dem letzten Boxenstopp vorne lagen, wäre ich aufgrund von Nick Tandys Tempo schon überrascht gewesen, wenn es dann noch anders ausgegangen wäre.“

Du sprichst die Taktik an, die beim Sieg auf dem Nürburgring ja auch den Ausschlag gegeben hatte. Kann man es trainieren, in den entscheidenden Momenten fast immer die richtige Strategie zu haben?

Naundorf: „Der Schlüssel ist – wie bei vielen Dingen im Leben – die optimale und detaillierte Vorbereitung, sich mit den Situationen, die im Rennen auftreten können, schon im Vorfeld auseinanderzusetzen. Wir haben festangestellte Ingenieure im Team, die sich vor so einem Rennen eine Woche lang nur mit der Taktik beschäftigen. Sie schauen sich die Strategien der letzten Jahre an, legen neue Reglements darauf um, spielen in Gedanken immer wieder alle möglichen Szenarien durch. Zehn Tage vor dem Rennen haben wir uns damit beschäftigt, in welchen Situationen wir bei einem Stopp nur schnell tanken, wann wir Reifen wechseln oder nicht. Wenn man im Rennen das erste Mal in so eine Situation kommt, ist es schwierig, richtig zu entscheiden. Wenn man sie im Kopf schon durchgespielt hat, ist es leichter. Die Jungs waren sich sicher, dass die Strategie passt. Um diese Sicherheit zu bekommen, muss man das richtige Personal haben und ihm die nötige Zeit geben. Wir haben viele passionierte Jungs, die hungrig auf Erfolge sind. Die richtige Entscheidung zur richtigen Zeit zu treffen, ist kein Glück, sondern das Ergebnis einer perfekten Vorbereitung.“

Liebt das Team so schwierige und wechselhafte Bedingungen wie in Spa oder auf dem Nürburgring, um diese Stärken besser zur Geltung bringen zu können?

Naundorf: „Je schwieriger die Situation und je größer die Belastung ist, umso mehr kann ROWE RACING glänzen. In einem Rennen über eine oder drei Stunden passiert nicht so viel Unvorhersehbares, da gibt es weniger Spielraum für Taktik. Langstreckenrennen sind immer Ausscheidungsrennen für die Fahrer, Teams und Autos. Das Thema ist dann immer, am längsten zu überleben und möglichst keine Fehler zu machen.“

ROWE RACING hat jetzt innerhalb von vier Wochen beide 24-Stunden-Klassiker – auf dem Nürburgring und in Spa – gewonnen. Kann man diese beiden Rennen miteinander vergleichen?

Naundorf: „Außer dass beides 24-Stunden-Rennen auf einzigartigen Rennstrecken sind, nicht wirklich. Ein Rennen wie das 24h-Rennen auf dem Nürburgring gibt es sonst nirgendwo. Dort muss man vorne wegfahren und kann einen einmal herausgearbeiteten Vorsprung nicht so leicht wieder durch Safety-Car-Phasen verlieren. Daher ist die Taktik ganz anders, denn man muss an der Spitze des Feldes das Tempo bestimmen. Das war in den letzten Jahren oft von der Balance of Performance beeinflusst, wodurch ein, zwei Hersteller vorne wegfahren konnten und dann von Code-60-Zonen zusätzlich begünstigt wurden. In Spa dagegen wird das Feld immer wieder durch Full-Course-Yellow-Phasen und Safety Cars zusammengeschoben. Dadurch taktiert man dort anders, versucht zuerst, sich aus Problemen rauszuhalten, keine Fehler zu machen und in der Führungsrunde zu bleiben. Erst später im Rennen probiert man, Positionen zu gewinnen und nach vorne zu kommen. Außerdem ist in Spa die gesamte Teamleistung sehr wichtig. Es gibt viel mehr und schnellere Boxenstopps, es kommt auf die Tankanlage an, auf die Mechaniker beim Reifenwechsel, die Versorgung mit Benzin und Reifen. Spa ist intensiver und auch für die Fahrer mental härter. Auf dem Nürburgring bleibt mehr Zeit, Entscheidungen zu treffen, dafür verzeiht die Nordschleife weniger Fehler, und schon bei einem Reifenschaden an der falschen Stelle kann man einen Podiumsplatz vergessen. Kurioserweise war das 24h-Rennen dort in diesem Jahr durch die Rennunterbrechung in der Nacht ein bisschen wie Spa, und dieser nicht ganz unerwartete Rennverlauf hat uns in die Hände gespielt. Bis zur Roten Flagge waren wir weniger Risiken eingegangen und hatten erst danach attackiert. Wäre das Rennen nicht unterbrochen worden, hätten wir unseren Rückstand wahrscheinlich nicht wieder aufgeholt.“

Welchen Anteil am zweiten Sieg von ROWE RACING in Spa nach 2016 haben die Fahrer Nick Tandy, Earl Bamber und Laurens Vanthoor?

Naundorf: „Einen ganz, ganz großen. Wir wollten in Spa unbedingt mit diesen drei Fahrern arbeiten und haben jedem von ihnen Aufgaben zugeteilt. Laurens Vanthoor hatten wir für die Super Pole vorgesehen. Auch wenn das nicht so gelaufen ist, wie er und wir gedacht hatten, war es wichtig, wie er danach intern die Probleme angesprochen und vor allem extern den Umgang der Rennleitung mit den Track Limits thematisiert hat, der dann für das Rennen geändert wurde. Dort hat er dann das Auto wie geplant unbeschadet durch die heiße Anfangsphase gebracht und danach immer seinen Job erledigt. Earl Bamber war dafür vorgesehen, das Auto aggressiver nach vorne zu bringen, und hat uns eine sehr gute Ausgangsposition erarbeitet. Bei Nick Tandy wussten wir, wie stark er im Regen und am Ende in der Crunch Time sein kann. Daher hatten wir ihn für den Schluss vorgesehen. Wie er aber dann in seinem Dreifach-Stint bei schwierigsten Bedingungen und nach einem zuvor schon so harten Rennen das Auto immer auf der Strecke gehalten und nicht überfahren hat, das war hohe Kunst. Es war fantastisch, was diese drei Jungs abgeliefert haben. Und wenn alles wie eine schöne Choreographie funktioniert, wenn alle Zahnrädchen ineinandergreifen, ist das ein tolles Erlebnis.“

Neben den Titelverteidigungen auf dem Nürburgring und in Spa reizt 2021 auch die DTM mit GT3‑Fahrzeugen. Wie sehen die Pläne für 2021 aus?

Naundorf: „Das erste Ziel ist auf jeden Fall, die beiden Titel bei den 24-Stunden-Rennen zu verteidigen. Das ist unsere sportliche Heimat, und dort laufen auch schon erste Gespräche für 2021. Aber natürlich interessiert uns auch die DTM, das habe ich ja schon mehrfach gesagt. Die aktuelle Entwicklung, wie die ITR zurecht auf die Meinungen erfahrener GT3‑Teams eingeht und das technische Reglement daran anpasst, ist sehr positiv. Bei mir persönlich ist aus meiner Vergangenheit die Affinität zur DTM da, das Format ist interessant und es kann für Partner Sinn ergeben, dabei zu sein – erst auf dieser Plattform, die Motorsport auf sehr hohem Niveau bietet. Aber wir blicken auch auf andere Events und hoffen, vielleicht wieder nach Macau gehen oder andere Langstreckenrennen der Intercontinental GT Challenge bestreiten zu können. Wir sind für alles offen und schauen, was im nächsten Jahr auch mit Blick auf die COVID‑19‑Pandemie möglich sein wird.“

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